Piero Sattanino
Bisher ist es mir bereits gelungen, einigen wundervollen Sommeliers ins Rampenlicht zu verhelfen. Dass ich nun aber eine Legende wie Piero Sattanino interviewen kann, ist ein echtes Highlight für mich. 1971 wurde Piero als zweiter Sommelier in der Geschichte von ASI zum Weltmeister gekürt. Als echtes Urgestein der Branche hat Piero maßgeblich zum Renommee der Sommeliers in Europa beigetragen und vielen jungen Leuten den Weg geebnet.
Bereits in jungen Jahren begann Piero sich in der Trattoria seiner Großeltern Schritt für Schritt sein großes Wissen aufbaute. Obwohl er im französischen Evian Les Bains, in Lausanne in der Schweiz, in Brighton und auch während seiner Dienstzeit beim Militär einige Auslandsaufenthalte absolviert hat, bedauert er noch immer, dass sich ihm, abgesehen von den genannten Ausnahmen, nur wenige Gelegenheiten geboten haben, eine Anstellung im Ausland anzunehmen. Ich denke allerdings, dass er für die damalige Zeit ein stattliches Maß an Auslandserfahrung gesammelt hat.
Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass ich mich nicht sehr auf dieses Interview gefreut habe. Es war wie eine Zeitreise zu unternehmen, oder einen alten Schwarzweißfilm anzuschauen. Ich weiß, dass viele von Pieros Antworten uns heute ganz normal erscheinen, aber die Dinge waren nicht immer so wie heute. Damals war es mit Sicherheit eine schwierige Zeit für Sommeliers, aber auch eine ruhmreiche. So stelle ich es mir jedenfalls vor.
Da es früher noch keine Smartphones gab, existieren auch deutlich weniger Fotografien. Jetzt kann ich nur noch sagen: Genießen Sie diese Zeitreise!
Das Interview
Mit welcher Weinregion arbeiten Sie am liebsten?
Ich wurde in Castelnuovo Don Bosco geboren und lebte mehr als 40 Jahre in Turin. Daher wird ein nicht unbeträchtlicher Teil meines Herzens immer „Piemontese“ bleiben. Es wird also niemanden überraschen, dass ich eine Vorliebe für diese Region hege. Es ist eine Region, die einfach alles zu bieten hat: Barolo, Trüffel, und so viele andere wunderbare Dinge. Eine weitere Region, der ich in den vergangenen 35 Jahren viel Aufmerksamkeit gewidmet habe und mit der ich gerne arbeite, ist Ligurien. Ligurien ist zwar weniger bekannt, beherbergt aber so einige wahre Schätze.
Was braucht es Ihrer Meinung nach, um ein guter Sommelier zu sein?
BESCHEIDENHEIT in ihrer Arbeit, OPFERBEREITSCHAFT ist leider notwendig (allerdings weniger, wenn es um familiäre Angelegenheiten geht), BESTÄNDIGKEIT und Traditionsbewusstsein in der Ausübung ihrer Tätigkeit und das LERNEN aus jeder sich bietenden Gelegenheit. REISEN und WISSEN sind Kernelemente, denen beständig Aufmerksamkeit gewidmet werden muss. Es hängt aber auch viel von den CHANCEN ab, die sich einem Sommelier bieten. Etwa, dass er ein Umfeld hat, das ihn unterstützt und das ihm organoleptische Verkostungen ermöglicht.
Wird der Beruf des Sommeliers unterschätzt bzw. zu wenig gewürdigt?
Leider sehen viele Restaurantbesitzer immer noch nicht den Mehrwert, den ein Sommelier für den Betrieb bedeutet, sondern sehen nur eine unnötige Ausnahme. Daher wird der der Beruf zu wenig geschätzt. Betrachtet man aber die Restaurants, die einen professionellen Sommelier beschäftigen, wird deutlich, dass den Gästen dort ein ganz anderes Erlebnis geboten wird und auch mehr Wein und Getränke allgemein verkauft werden. So steigt dann auch der Umsatz insgesamt. Neben dem Verkaufsaspekt verwaltet ein Sommelier den Weinkeller und sorgt dafür, dass keine unnötigen oder überzähligen Weine und Getränke eingekauft werden. Damit erspart sich das Restaurant durch den Sommelier Ausgaben.
In den 70er und 80er Jahren war das nicht anders. Der einzige Unterschied ist, dass es heute deutlich mehr Weinhersteller und Wein produzierende Länder gibt, die zudem einen höheren Qualitätsstandard aufweisen. Heute ist es deutlich schwerer einen schlechten Wein zu trinken!
Wann und wo haben Sie Ihre Leidenschaft für Wein entdeckt?
Ich kann behaupten, dass ich mit Wein im Blut geboren wurde. In Piemont war es damals üblich Tradition, dass selbst kleinere Kinder hin und wieder ein Schlückchen von Bacchus‘ Nektar kosten durften. Meine Eltern und Großeltern betrieben eine „Piola“, das ist eine Art Trattoria bzw. Vinothek, in der „Vorstadt“ von Turin. Dort tranken die Gäste eine ordentliche Menge und aßen dafür nur sehr wenig. Zwischen den Kartenspielen tranken die Leute normalerweise viele „Bute Stupe“ (1 Liter Flaschen Wein) und aßen dazu einfache regionale Gerichte, die meine Nonna Marietta zubereitete. In dieser Umgebung bin ich aufgewachsen und verbrachte dort bis zum Ende meiner Hotelfachausbildung am „Istituto Giuseppina Colombatto“ in Turin viel Zeit.
Anschließen arbeitete ich weiterhin in Hotels und Restaurants in ganz Italien und auch im Ausland, sogar an Bord der Motonave Michelangelo dell Soc. Italiana Navigazione. 1969 nahm ich an der ersten ASI „Concours Mondiale“ in Brüssel teil und belegte den zweiten Platz. Drei Jahre später, 1971, bei der zweiten ASI Weltmeisterschaft, die dieses Mal in Mailand stattfand, gewann ich den Weltmeistertitel. Ich habe diesen Schritt nie bereut. Die Leidenschaft ist noch immer da und lebendiger denn je.
Wer ist Ihr großes Vorbild in der Welt der Weine und Sommeliers?
Ich habe mich in die Kunst der Sommeliers 1967 verliebt, als eine Delegation aus Mailand, bestehend aus Herrn Merola und dem legendären Sommelier Jean Valenti (er war der erste Chefsommelier des historischen und legendären Restaurants Savini), nach Turin kam, um die italienische Sommelier Vereinigung vorzustellen. Ich, damals zusammen mit meinen Eltern Restaurantbesitzer, wurde zu ihrem Treffen eingeladen. Der Rest ist Geschichte.
Wie gehen Sie vor, um den perfekten Wein (oder das perfekte Getränk) für ein Gericht auszuwählen?
Als Sommelier ist es meine Aufgabe, Weine aus der ganzen Welt, die alle ihre Eigenheiten haben, mit Essen zu kombinieren. Normalerweise geschieht das instinktiv. Das gleiche gilt für Bier, insbesondere für handwerklich hergestellte Biere. Das gibt dem Konsumenten ein ganz spezielles und interessantes Gefühl. Der Umgang mit Sake und anderen Destillaten ist nicht einfach, da sie nicht immer mit der regionalen italienischen Küche harmonieren.
In welcher Weinregion würden Sie jedem einen Besuch empfehlen und warum?
Als Italiener und darüber hinaus einer, der aus Piemont stammt, aber bereits seit 35 Jahren in Ligurien lebt, würde ich diese beiden Regionen empfehlen.
Besonders an Piemont sind die Weingärten, die wie in einem antiken römischen Amphitheater an den Berghängen gelegen sind, egal, ob in Monferrato oder in Langhe. In den Provinzen Vercelli und Novara gibt es einige Besonderheiten, ebenso in der Provinz Turin, wo einige Weine in den Steinhängen der Täler wachsen. Es ist eine Gegend großer Rotweine mit den Eigenheiten delikater Weißweine – etwas sehr Spezielles!
Ligurien ist nicht unbedingt eine Region mit verbreiteter oder bekannter Weinproduktion. Es gibt dort allerdings einige kuriose Rot-, Rosé-, Weiß- und Dessertweine. Die wunderschönen Terrassen am Meer oder zwischen den Olivenbäumen, Mimosen, aromatische Gräser, Rosenzucht… Das ist Ligurien! Es ist Liebe auf den ersten Blick.
Um welchen Wein zu probieren würden Sie ein großes Opfer bringen?
Ich hoffe, dass ich irgendwann noch einmal nach Ontario in Kanada komme, wo sie „Eiswein“ herstellen. Dieser Wein fasziniert mich. Die Hartnäckigkeit dieser Trauben, die mit dem Frost kämpfen und sich schließlich mit ihm vereinigen, der Prozess der Weinherstellung und die spezielle Fermentation, sowie die Zufriedenheit, wenn man diesen Wein kostet. Drückt die Daumen, dass ich diese Gelegenheit eines Tages bekomme!
Was ist Ihre Lieblingserinnerung an Ihre Ausbildung?
Zu der Zeit, als ich meine Ausbildung absolvierte, waren die Lehrer, die nicht gerade sprachliche Fächer unterrichteten, eigentlich Fachkräfte, die sonst als Maître, Sommelier, Rezeptionisten oder Hoteldirektoren arbeiteten. Sie unterbrachen also ihre reguläre Arbeit, um zu unterrichten und die Tipps und Tricks aus ihrer praktischen Erfahrung mit den Schülern zu teilen. Ich kann mir keine geeigneteren Lehrer vorstellen, als solche, die tatsächlich den Beruf ausüben!
Ein kulinarisches Erlebnis, dass jeder einmal gemacht haben sollte – abgesehen von einem Essen in Ihrem Restaurant?
Es wäre schön gewesen, wenn ich zu meiner Zeit mehr Möglichkeiten gehabt hätte, Praktika in verschiedenen „renommierten“ Restaurants und Hotels auf der ganzen Welt zu absolvieren. Dann hätte ich viel über ihre Weinkeller lernen können und die besten Kellereien besuchen können. Aber dafür hätte man die nötige Zeit und das nötige Geld gebraucht, besonderes Letzteres war immer sehr knapp. Außerdem lief alles ausschließlich über Kontakte zu den richtigen Leuten. Wenn man Produkte kennenlernen wollte, oder auch nur einige neue Informationen einholen wollte, musste man eine Pilgerreise zu den Weingütern unternehmen. Heute ist dank des Internets, diverser Fachzeitschriften, Bücher und Vereinigungen wie ASI, ASPI, etc. alles sehr viel einfacher geworden.
Heute bereiten sich Teilnehmer in jahrelangem, intensivem Studium auf die Weltmeisterschaft vor. Wie haben Sie sich damals auf die Weltmeisterschaft von 1971 vorbereitet?
Wie ich bereits sagte, bot für mich eine Pilgerreise zu den Winzern die einzige Gelegenheit zur Übung. Darüber hinaus amerikanische Bars, Diskussionen mit Freunden, die als Köche oder Sommeliers in guten Restaurants arbeiteten. Das bedeutete auch, weniger Zeit mit der Familie und auf der Arbeit zu verbringen. Das war auch zu meiner Zeit nicht leicht.