Michèle Chantôme
Ich habe bereits einige Male betont, dass mehr und mehr Frauen ihren Weg in die Welt der Sommeliers finden und wir dies als ein überaus positives Zeichen deuten sollten. Jede Branche hat ihre festen Größen; unter den Sommeliers ist Michèle Chantôme eine solche, da sie ihr ganzes Leben in den Dienst ihres Fachs gestellt hat. Zwar arbeitet sie eher in beratenden und unterstützenden Tätigkeiten, also nicht direkt in einem Hotel oder Restaurant. Nichtsdestotrotz wird ihre Arbeit von Vielen als außerordentlich wertvoll geschätzt und sie ist definitiv ein leuchtendes Vorbild für junge Frauen, die in der Welt der Sommeliers durchstarten möchten.
Lange Zeit war Michèle als freiberufliche PR-Beraterin tätig und im Jahr 1988 zum Beispiel für die Ausrichtung der Ruinart Challenge verantwortlich, deren treibende Kraft sie bis 2006 blieb. Außerdem hat sie an der Öffentlichkeitsarbeit von Moët & Chandon, Mercier, Mandarine Impériale, Heineken und Hennessy mitgewirkt.
Heutzutage genießt Michèle gemeinsam mit ihrem Mann ein etwas ruhigeres Leben in Marokko. Hier liegt die Betonung allerdings auf „etwas“, denn eigentlich ist Michèle nach wie vor sehr beschäftigt. Sie arbeitet für ASI als PR-Managerin und ist auch Teil des Marketingteams. Darüber hinaus bereist sie die Welt, um junge Sommeliers zu unterstützen.
Da Michèle immer eher als Unterstützerin im Hintergrund gearbeitet und auch viele internationale Wettbewerbe organisiert hat, war ich auf ihre Antworten auf meine zehn Fragen ganz besonders gespannt. Daher wünsche ich Ihnen nun viel Vergnügen mit den Einblicken, die Michèle uns in ihre Welt gewährt.
Das Interview
Mit welcher Weinregion arbeiten Sie am liebsten?
Alle Weinregionen sind interessant, wenn man mit ihnen arbeitet. Natürlich sind einige attraktiver, berühmter oder besser organisiert als andere. Es ist aber auch eine Frage der Zeit. Aktuell arbeite ich neben marokkanischen oft mit argentinischen Weinen und kann daher mit einiger Gewissheit sagen, dass die Organisationen Wines of Argentina und Association of Sommeliers of Argentina tolle Arbeit leisten und mit vielen ausländischen Sommeliers zusammenarbeiten.
Was braucht es Ihrer Meinung nach, um ein guter Sommelier zu sein?
Für mich ist nicht nur Fachwissen von Bedeutung, sondern auch die Art und Weise, wie man mit den Gästen und auch mit den Winzern umgeht. Schließlich soll ein Sommelier eine Verbindung zwischen Produzent und Konsument herstellen und einen Wein auswählen und auch vorstellen, ohne dabei oberlehrerhaft zu wirken. Es ist wichtig, dass man diplomatisch ist und dafür sorgt, dass die Gäste ins Träumen geraten und eine gute Zeit haben. Natürlich bedarf es zudem noch zahlreicher weiterer Talente und Fähigkeiten.
Wird der Beruf des Sommeliers unterschätzt bzw. zu wenig gewürdigt?
Ja, definitiv! Wenn man bedenkt, wie die Köche behandelt werden… Aber man stelle sich nur mal hervorragendes Essen mit einem fürchterlichen Wein vor! Es ist so wichtig, den richtigen Wein zu einem Gericht zu finden. Ein Sommelier berät nicht nur hinsichtlich der Kombination von Essen und Wein, sondern ist auch für den Weinkeller verantwortlich und sorgt in einem gut geführten Restaurant für die Haupteinnahmequelle. Aus betrieblicher Sicht stellt ein Sommelier also wichtiges Kapital dar.
Wann und wo haben Sie Ihre Leidenschaft für Wein entdeckt?
Ich habe den Wein als Kind für mich entdeckt. Mein Großvater nahm mich mit in seinen Keller und gab mir ein Schlückchen eines sehr trockenen und zitronigen Sauvignon blanc zu trinken. Ich erinnere mich noch gut an den Geschmack dieses Weins. Es war aber erst in den 80ern, als ich begann Wettkämpfe für Sommeliers zu organisieren, dass ich mich unwiederbringlich in den Wein verliebte. Damals schwärmte ich für Wein, wusste aber eigentlich nicht viel darüber. Ich habe meine Weine intuitiv ausgewählt, aber als ich dann mehr darüber erfuhr, bereitete es mir umso größere Freude.
Wer ist Ihr großes Vorbild in der Welt der Weine und Sommeliers?
Es sollte sich hierbei um eine Frau handeln, aber unglücklicherweise dominieren noch immer Männer diese Domäne. Ich möchte betonen, dass es mir eine Ehre ist, mit den besten Sommeliers der Welt befreundet zu sein. Es wäre nicht fair, einen von ihnen hervorzuheben, da mich alle auf ihre eigene Weise sehr geprägt und inspiriert haben. Sie sind alle gemeinsam meine Mentoren und meine Familie.
Wie gehen Sie vor, um den perfekten Wein (oder das perfekte Getränk) für ein Gericht auszuwählen?
Manchmal liegt die Wahl auf der Hand. Wenn ich mir aber länger darüber Gedanken machen muss, berücksichtige ich die Zutaten des Gerichts und die Art der Zubereitung. Ich versuche dann einen Wein, etc. mit einem gegenteiligen oder sehr ähnlichen Charakter zu finden. Es kann ein fruchtiges oder süßes Aroma sein, dass die Säure ausgleicht, oder ein vollmundiger Wein mit den Aromen roter oder dunklerer Früchte sein, der ein kräftiges Fleischgericht unterstützt. Es hängt auch viel von der Serviertemperatur ab, der Jahreszeit und den Menschen, mit denen man zusammen isst.
In welcher Weinregion würden Sie jedem einen Besuch empfehlen und warum?
Jede Weinregion ist einen Besuch wert, weil das die beste Art ist sich die Orte und Weine einzuprägen. Einige sind sehr speziell, wie Santorin mit seinem Ampeli System, oder Jerez mit dem Solera Verfahren, Georgien mit dem Ovevris, die Champagne mit der Crayères. In Südafrika müssen die Trauben vor den Affen geschützt werden, im argentinischen Salta befinden sich auf bis zu 3110 m (Altura Maxima) die höchstgelegenen Weingärten. Es gibt also viele ansprechende Regionen! Aber warum nicht Marokko einen Besuch abstatten? Wir haben dort sehr gute Weine mit sehr gutem Terroir und hervorragende Winzer. Das ist eine Entdeckungsreise wert!
Um welchen Wein zu probieren würden Sie ein großes Opfer bringen?
Für unerreichbare Weine! Verstehen Sie mich nicht falsch, ich hatte bereits das Privileg, hervorragende Weine zu probieren. Daher faszinieren mich Weine aus längst vergangener Zeit, von den Anfängen der Weinkultur, oder der Wein, der bei der biblischen Hochzeit zu Kana gereicht wurde. Aber das ist alles nur Träumerei!
Was ist Ihre Lieblingserinnerung an Ihre Hotelfachausbildung?
Ich habe keine Hotelfachausbildung gemacht, tut mir leid!
Ein kulinarisches Erlebnis, dass jeder einmal gemacht haben sollte – abgesehen von einem Essen in Ihrem Restaurant?
Meiner Meinung nach ist es eine wichtige Erfahrung einen Wein zu trinken, der nicht von einem Essen begleitet werden muss. Ein gutes Beispiel ist etwa ein Dom Ruinart Rosé, oder ein fantastischer Dessertwein wie der Vin de Constance von Klein Constantia.