Julia Scavo
Die Sommelière, die ich Ihnen im Folgenden vorstellen möchte, wird oft als “une étoile montante“ (ein aufsteigender Stern) beschrieben. Darf ich vorstellen: Julia Scavo.
Julia wurde in Krajowa in Rumänien geboren. Dort machte sie einen zweisprachigen Abschluss in Mathematik und Physik. Im Anschluss entschied sie sich, ihr Studium in Frankreich fortzuführen und an der Universität von Lyon Mathematik und Ingenieurswesen zu studieren. Vor diesem Hintergrund ist es nicht eben naheliegend, dass Julia heute eine bekannte Sommelière ist. Aber glauben Sie mir, es ist wahr! Im Laufe der Zeit ist Julia bei vielen internationalen Wettbewerben ganz vorne mit dabei gewesen. 2012 gewann sie den Titel des „Central-European Sommelier Championship“, sie wurde 2013 Dritte beim „Meilleur Sommelier d’Europe“ und Fünfte beim „Meilleur Sommelier du Monde“, auch beim „Master of Port 2011-2012“ war sie unter den Finalisten und 2008 wurde sie Zweite beim Wettbewerb „Best Sommelier of Romania“. Und diese Liste ließe sich noch deutlich erweitern…
Wer hätte gedacht, dass das Flanieren über Märkte und Spaziergänge durch Weinberge in Bourgogne und Beaujolais zu einem Karrierewechsel anregen? Als Julia begann sich mehr und mehr für Wein zu begeistern, wechselte sie von der Universität Lyon an die Universität des Weines in Suze-la-Rousse, wo sie Kurse über sensorische Analyse belegte. In den folgenden Jahren hat Julia in zahlreichen Restaurants sowohl in Frankreich als auch in Rumänien gearbeitet. So unter anderem im La Trattoria by Alain Ducasse, in Nizza im Keisuke Matsushima, oder dem Restaurant Ischia Tour. Diese Stationen halfen ihr sich zu entfalten und die Spitzensommelière zu werden, die sie heute ist.
Auch ihr Privatleben wurde zunehmend vom Wein geprägt. Ganz besonders als sie 2009 auf der Vinexpo ihren zukünftigen Ehemann Bruno Scavo kennenlernte (ein weiterer Topsommelier auf meiner Interviewliste).
Heute ist Julia nicht nur Mutter von zwei Kindern, sondern auch Markenbotschafterin der Glasgeschirr Line Reveal’UP von Chef & Sommelier. Außerdem arbeitet sie freiberuflich als Weintrainerin in Restaurant und Weiterbildungseinrichtungen in Frankreich (ICOP in Aubagne und Paris, Formazu und GRETA in Nizza, IFR in Cannes, IRIS Development in Monaco sowie Best Partners Mandelieu).
Das Interview
Mit welcher Weinregion arbeiten Sie am liebsten?
Das Douro-Tal und besonders Port. Der Wein und die ganze Region sind durchzogen von so viel Geschichte und Kultur! Es hat Millionen Jahre ungeheurer geologischer Prozesse gebraucht, um eine solch majestätische Landschaft zu erschaffen und Generationen von Menschen, die hart an deren Perfektion gearbeitet haben. Die Menschen haben Berge modelliert, jedes kleine Detail von Höhe, Neigung und Position berechnet. Nicht zu vergessen die reiche Ampelografie. Das Resultat ist einer der vielseitigsten Weine überhaupt – tief und komplex, auf eine gewisse Art ein Grenzgänger, der zwischen Stärke und Zartheit, Generosität und Finesse balanciert. Ich liebe es, Portwein-Dinner auszurichten und diese Weine vom „Apéritif“ bis zur Zigarre zu servieren!
Was braucht es Ihrer Meinung nach, um ein guter Sommelier zu sein?
Neugierde, die Suche nach Universalismus und eine gute Portion Pädagogik.
Wird der Beruf des Sommeliers unterschätzt bzw. zu wenig gewürdigt?
Ich habe in der Tat das Gefühl, dass dieser Beruf unterschätzt wird. Einige Restaurants bringen ihren Angestellten Grundkenntnisse über Wein bei und denken, dass das ausreicht, um einen Sommelier zu ersetzen. In vielen Betrieben übernehmen F & B, der Eigentümer oder dessen Frau die Aufgabe, den Wein auszuwählen! Es sind wirtschaftliche Erwägungen, die dazu geführt haben, dass Sommeliers (oder Barkeeper) als die verzichtbarsten Mitarbeiter gelten. Das ist natürlich regional sehr unterschiedlich und hoffentlich nur einem ökonomischen Kontext geschuldet, der sich sicherlich irgendwann ändern wird! Es gibt noch ein weiteres Problem: Der Arbeitsalltag in einem Restaurant ist sehr fordernd, sodass für einen Sommelier nur wenig Freiraum bleibt, um sich weiterzuentwickeln, auf dem Laufenden zu bleiben, zu reisen und neue Weinregionen zu besuchen. Als weiblicher Sommelier kommt außerdem noch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ins Spiel, denn Mutterschaft ist ein kritischer Punkt in der Karriere, der alles deutlich komplizierter macht!
Wann und wo haben Sie Ihre Leidenschaft für Wein entdeckt?
Mein Interesse für Wein kommt von meinem Interesse für gastronomische Kultur, oder schlicht von meiner Leidenschaft für Kultur an sich! Wein ist ein Kulturobjekt, umgeben von Geschichte, Naturwissenschaften, Physik, Chemie, Philosophie, Literatur, und anderen Künsten.
Ich habe einen Abschluss in Mathematik, bin auch mit dem Ingenieurswesen vertraut und habe zudem einen literarischen Hintergrund. Es ist also nur natürlich, dass ich letzten Endes zum Wein gekommen bin.
Wer ist Ihr großes Vorbild in der Welt der Weine und Sommeliers?
Monsieur Pierre Galet, ein „Homo Universalis“ mit einem nahezu enzyklopädischen Wissen und lebhafter Erinnerung an Weine und Ampelografie. Ich hatte das Privileg ihn vor drei Jahren auf einem Symposium über Terroir und Rebsorten zu treffen – eine kulturelle Bereicherung!
Wie gehen Sie vor, um den perfekten Wein (oder das perfekte Getränk) für ein Gericht auszuwählen?
Mein Ansatz ist, ein Gericht durch Verkostung des Weines oder Getränks „Note für Note“ zu kreieren und dabei die wechselseitigen Aromen, Strukturen und Texturen zu berücksichtigen. Ich glaube, dass dies einer der besseren Wege ist, um eine tolle Kombination zu erzielen.
In welcher Weinregion würden Sie jedem einen Besuch empfehlen und warum?
Also, da ich das Douro-Tal bereits erwähnt habe, das ich natürlich jedem empfehle, gehe ich jetzt weiter nach Piedmont! Warum? Auch hier spielen Kultur und Geschichte eine wichtige Rolle, es gibt immer eine Burg, eine Kirche oder ein Museum, das zwischen den Weinproben besucht werden kann. In der nebeligen – der „nebbia“ – Zeit herrscht eine geheimnisvolle Atmosphäre, die so metaphysisch ist, dass man sie nur in den obskuren Kellern und in Gläsern Barolo oder Barbaresco durchdringen kann. Dem Anschein nach herb, aber von Natur aus großzügig, haben die Menschen hier viel mit ihrem Wein gemeinsam: Charisma, Charakter und viel Persönlichkeit. Die hügelige Landschaft macht einen freundlichen Eindruck, aber die Region ist in tiefe Mergelschichten eingefurcht, die Weine sind vielleicht schwer zu verstehen, während sie jung sind, aber die lokale Küche fügt Salz und Pfeffer hinzu und nicht zu vergessen die exquisiteste Trüffelnote!
Um welchen Wein zu probieren würden Sie ein großes Opfer bringen?
TBA 1959 Scharzhofberger von Egon Müller (zufälligerweise ist das das Jahr in dem auch Egon Müller IV geboren wurde).
Was ist Ihre Lieblingserinnerung an Ihre Ausbildung?
Das ist einfach: 2009 habe ich mit dem Diplom in Wein-, Spirituosen- und Getränkemarketing am ICOP Institut in Paris begonnen. Eine Woche später traf ich den Mann, der mein Ehemann und schließlich der Vater meiner Kinder werden sollte auf der Vinexpo in Bordeaux. Ich erinnere mich gerne an den Tag, an dem der Direktor des ICOP mir trotz aller organisatorischen Querelen erlaubte an das Schwesterinstitut in der Provence zu wechseln und damit dem Mann zu folgen, der mein Mentor bei meinen Wettbewerben war. 2011 erhielt ich schließlich mein Diplom und ein Jahr darauf, nach meiner ersten Schwangerschaft, fing ich am ICOP an zu unterrichten – sowohl in Paris, als auch in der Provence.
Ein kulinarisches Erlebnis, dass jeder einmal gemacht haben sollte – abgesehen von einem Essen in Ihrem Restaurant?
Essen Sie in der Hostellerie Jérôme in La Turbie, gar nicht weit von mir! „Emotion“ ist hier das Stichwort.