Für wen schreiben wir die Weinkarte?
Kürzlich wurde Jancis Robinson in einem Interview gefragt, welchen Rat sie Sommeliers geben würde. Sie beklagte einen Mangel an Klassikern auf immer mehr Weinkarten der Großstädte, die ihrer Ansicht nach von einem uniformen, durch Herdentrieb der dortigen Sommeliers entstandenen Geschmack dominiert sind.
Wie konnte es dazu kommen? Lange Zeit kämpften die Sommeliers gegen die Vorurteile der Gäste an, sie würden ihnen nur ihren eigenen Geschmack aufdrücken, und das am besten mittels der teuersten Flasche, die die Karte zu bieten hat. Dank viel Pionierarbeit und diversen Ikonen wandelte sich das Gast-Sommelier-Verhältnis in ein von Vertrauen geprägtes. Dem Gast wurde anhand seines Geschmacks weitergeholfen, je nach Anlass und Laune etwas Bekanntes empfohlen, oder vielleicht auch mal eine Neuentdeckung des Sommeliers eingeschenkt. Der Gast hatte jedoch Mitspracherecht.
Nachdem wir uns dieses Vertrauen über die letzten Jahrzehnte mühsam aufgebaut haben, gerät es nun ins Wanken. Weshalb? Weil sich immer mehr Sommeliers damit brüsten, Weinkarten zu schreiben, die dem Rest ihrer vinophilen Clique gefallen. „Ich habe keinen Grauburgunder auf der Karte!“ oder „Wir haben jetzt die Hälfte der Weinkarte mit Jura bestückt! Jeder der einen Supertuscan oder Marlborough Sauvignon ohne Maischestandzeit bestellt fliegt raus!“
Aber ist das wirklich unsere Aufgabe? Sollten wir nicht vielmehr den Geschmack unserer Gäste bedienen? Vor allen Dingen auch, um ein wirtschaftlich erfolgreiches Weinkonzept zu haben? Nichts spricht dagegen, Gästen im Zuge einer Weinbegleitung oder mittels mündlicher Empfehlung neue Weinstilistiken, -regionen, -rebsorten, etc. näher zu bringen. Aber sollten wir nicht zum Firmenessen, dem ersten Date oder dem Dinner mit der Schwiegermutter eine sichere Bank anbieten, wenn dies verlangt wird? Menschen vertrauen gewissen Marken – sei es eine Rebsorte, ein Winzer oder eine Region – und zumindest ein gewisser Teil der Karte sollte dieses Bedürfnis auch bedienen. Schließlich ist das Schreiben von Weinkarten kein Mittel der Selbstverwirklichung, sondern das zentrale Verkaufsinstrument unseres Berufs. Man bedenke auch, dass Sommeliers kaum länger als zwei, drei Jahre in einem Betrieb bleiben. Wehe dem Nachfolger, der einen Weinkeller übernimmt, der, statt auf die Zielgruppe des Restaurants ausgerichtet zu sein, voll der Lieblingsweine seines nun leider weitergezogenen Vorgängers ist. Mit etwas Pech ist die Hälfte davon nicht geschwefelt und gärt daher zum Teil noch fröhlich in der Flasche nach …
Man stelle sich einfach mal eine erfolgreiche, etablierte Metzgerei mitten in Berlin, vor. Der Juniorchef übernimmt, und von heute auf morgen gibt es kein Hack und keine Würstchen mehr, sondern nur noch ein paar Filets und ansonsten Fleisch-Ersatzprodukte aus Tofu. Wenn die Metzgerei am Prenzlauer Berg ist, mag sein Konzept aufgehen. Doch wie lange würde das an einem anderen Ort gut gehen?
Daher der Appell vor der nächsten Neulistung, vielleicht sollten wir uns häufiger wieder die Frage stellen: „Schmeckt dieser Wein nur mir und meiner Bezugsgruppe, oder schmeckt er auch dem Großteil meiner Gäste?“
Text: Marc Almert