Andres Rosberg
Erlauben Sie mir Ihnen den amerikanischen ASI Vizepräsidenten vorzustellen, den argentinischen Spitzensommelier Andrés Rosberg [Anmerkung: inzwischen ist Andres Präsident der ASI].
Etwas, das Sie möglicherweise überraschen wird (besonders, weil Andrés noch jung ist), ist, dass er zu Argentiniens ersten professionellen Sommeliers gehört und außerdem ein Mitgründer und Präsident der argentinischen Sommelier-Vereinigung. In Argentinien ist es möglich, die Sommelierausbildung als Hauptfach zu wählen, oder als Schwerpunkt innerhalb eines Studiums an einer Hotelmanagementschule. Das bedeutet, dass der Beruf des Sommeliers in Argentinien staatlich anerkannt ist. Das könnte durchaus auch eine gute Idee für Europa sein :-).
Andrés hat nicht nur als Juror bei zahlreichen nationalen und internationalen Wettbewerben wie dem berühmten „Decanter World Wine Awards“ fungiert, sondern auch einige Zeitschriftenartikel veröffentlicht und in TV- und Radiosendungen mitgewirkt. Während seiner Zeit als Vorsitzender der argentinischen Sommelier-Vereinigung (AAS) sowie der Panamerican Sommelier Alliance und Vize-Präsident der International Sommelier Association for the Americas hat er viele Wettbewerbe organisiert. Das Sahnehäubchen dürfte aber zweifelsohne die Ausrichtung der ASI Sommelier Weltmeisterschaft in Mendoza gewesen sein, denn dieses Event hat ganz andere Dimensionen als alle anderen Wettbewerbe. Ich kann nur hoffen, dass wir uns bei der Weltmeisterschaft 2019 genauso gut schlagen werden wie Andrés!
Zurzeit arbeitet Andrés als Weindirektor im Hotel Fierro in Buenos Aires und als Geschäftsführer des 409 Hektar großen Los Arbolitos Vineyard Trust in Mendonza (Argentinien).
Das Interview
Mit welcher Weinregion arbeiten Sie am liebsten?
Mit dem Planeten Erde!
Was braucht es Ihrer Meinung nach, um ein guter Sommelier zu sein?
Zu aller Erst muss man zurückhaltend sein. Denn trotz des Titels dieser Kolumne sind Sommeliers nicht diejenigen, die im Fokus stehen – und das sollten sie auch nicht sein. Die Kunden kommen zuerst, genauso wie der Wein, das Essen und der Service. Dann muss man einsehen, dass man nie über vollkommenes Wissen verfügen wird: Egal wie viel man lernt, verkostet und reist, man wird nie alles wissen oder alle hervorragenden Weine probiert haben. Aber das macht auch gar nichts, denn kaum jemand schätzt einen Sommelier, der so tut als wüsste er alles. Darüber hinaus ist es eine fantastische Herausforderung, die zu lieben man lernen muss, denn dieser Beruf ist kein normaler Job, sondern eine Lebensaufgabe. Außerdem muss man klug sein, elegant aussehen und erklären können ohne zu belehren, den Lagerbestand anpassen und die betriebswirtschaftliche Seite im Blick behalten. Auch Teamwork ist wichtig und natürlich, dass man seinen Kunden und deren Wünschen und Anforderungen genug Aufmerksamkeit widmet. Denn letzten Endes muss nicht nur der Sommelier immer freundlich lächeln, sondern auch die Kunden sollen den Laden mit zufriedener Miene verlassen.
Wird der Beruf des Sommeliers unterschätzt bzw. zu wenig gewürdigt?
Ich denke, dass hängt ganz davon ab, wo man ist und mit wem man spricht. Einige Leute meinen, Sommeliers seien prätentiöse Snobs. Andere sehen sie als Rockstars, die verehrt werden sollten. Mein Eindruck ist, dass wir irgendwo dazwischen sein sollten. Viele Sommeliers arbeiten sehr lang und hart und verdienen dabei nicht einmal besonders viel, wohingegen andere Sommeliers weit mehr Gehalt bekommen als zum Beispiel ein Arzt, der Leben rettet. Ich brauche wohl nicht zu betonen, dass es mich freut, dass es Sommeliers gibt, die gut von ihrem Beruf leben können. Allerdings denke ich, wir sollten auf die teils widrigen Arbeitsbedingungen in diesem Beruf aufmerksam machen und auf deren Verbesserung hinwirken.
Wann und wo haben Sie Ihre Leidenschaft für Wein entdeckt?
Das hat sich ganz selbstverständlich so entwickelt. Im Leben von uns Argentiniern ist Wein sehr präsent. Wein ist ein wichtiger Bestandteil unserer Kultur, so sehr, dass Wein – im Gegensatz zu anderen alkoholischen Getränken – sogar rechtlich zu den Nahrungsmitteln zählt. Es gibt tatsächlich auch ein Gesetz, demzufolge Wein das „Nationalgetränk“ Argentiniens ist. Ich denke, das ist nicht weiter verwunderlich in dem Land mit dem höchsten Fleischkonsum pro Kopf, oder? Ich selbst habe als Teenager als Kellner und Barkeeper angefangen und mit Anfang 20 interessierte ich mich bereits mehr für Wein als für alles Andere. Zu dem Zeitpunkt traf ich dann auch die gewagte Entscheidung mein Politikwissenschaftsstudium abzubrechen und mich ganz dem Sommelier-Handwerk zuzuwenden.
Wer ist Ihr großes Vorbild in der Welt der Weine und Sommeliers?
Zweifellos ist Gérard Basset die Autorität schlechthin. Er hat jeden Titel gewonnen, den es in unserem Metier zu gewinnen gibt, und ist dennoch auf dem Boden geblieben. Er ist Mentor für junge Sommeliers und beständig daran interessiert sich weiterzubilden und sein Wissen weiterzugeben. Josep „Pitu“ Roca, vom El Celler de Can Roca, ist ein weiteres großes Vorbild. Er betreibt eines der beeindruckendsten
Weinprogramme der Welt, in dem absolut jeder Wein, der in seinen Menüs serviert wird, außergewöhnlich ist. Indem er außerdem soziale Verantwortung übernimmt und die harte Arbeit, die hinter jedem Glas Wein steckt stets im Blick behält, hebt er das Sommelier-Handwerk auf eine ganz neue Stufe.
Abschließend eine Person, die mir aus naheliegenden Gründen besonders am Herzen liegt: Paz Levinson, eine Argentinierin, die 2015 den Titel „Best Sommelier of the Americas“ gewonnen hat und letztes Jahr den vierten Platz beim „Best Sommelier oft he World“ in Mendoza belegt hat und damit Vielen eine Inspiration ist. Sie hat einen Abschluss in Literaturwissenschaften, schreibt Gedichte und ist eine der klügsten, freundlichsten, gewissenhaftesten und passioniertesten Sommelièren, denen ich je begegnet bin.
Wie gehen Sie vor, um den perfekten Wein (oder das perfekte Getränk) für ein Gericht auszuwählen?
Das hängt etwas vom Anlass ab. Zuerst frage ich natürlich die Kundinnen oder Kunden nach deren Geschmack und Vorlieben. Dann stelle ich sicher, dass Wein und Gericht sich in Gewicht und Struktur ähneln. Abschließend kümmere ich mich um die Aromen und Farben. Wenn, wie in einer Vinothek, der Wein im Vordergrund stehen soll, dann suche ich Gerichte aus, die die Weine unterstreichen. Manchmal ist es auch umgekehrt, dann wähle ich einfachere Weine aus, die das Essen nicht überlagern. Auf jeden Fall probiere ich die Kombination vorher, besonders, wenn es sich um ein festgelegtes Menü handelt. Denn hin und wieder versagt die Theorie und es ergeben sich Kombinationen, die man so vorher nicht erwartet hätte. Zudem sollte man die Gelegenheit für ein „fine tuning“ mit dem Koch nutzen.
In welcher Weinregion würden Sie jedem einen Besuch empfehlen und warum?
Argentinien natürlich! Es bietet eine große Vielfalt: Malbec, klar, aber auch Cabernet Sauvignon, Weißweine, Perlweine, … – darüber hinaus tolles Wetter, nette Leute, fantastische Landschaften, angemessene Preise und gutes Essen – vielleicht nicht für Veganer oder Vegetarier, dafür aber umso mehr für Fleischliebhaber!
Um welchen Wein zu probieren würden Sie ein großes Opfer bringen?
Ich weiß, dass ich hier etwas wie Pétrus oder DRC antworten sollte. Die Wahrheit ist allerdings, dass, wenn man in einem Land lebt, das so viel Wein produziert wie Argentinien, die Möglichkeiten, importierten Wein zu probieren, sehr begrenzt sind. Daher habe ich in den vergangenen fünfzehn Jahren praktisch meinen gesamten Urlaub „geopfert“, um so viele Weinregionen wie möglich zu bereisen und die Weine der Welt zu kosten. Obwohl ich das Glück hatte einige legendäre Weine zu probieren, befindet sich der Sommelier auf einer Reise, die kein Ziel kennt und ich beabsichtige daher, auch in Zukunft die notwendigen „Opfer“ zu bringen.
Was ist Ihre Lieblingserinnerung an Ihre Ausbildung?
Ich habe das Sommelier-Handwerk als eigenständigen Karrierepfad gewählt. Dies ist möglich, da die dreijährige Ausbildung von der argentinischen Regierung anerkannt wird; zu meiner Zeit war die Ausbildung allerdings noch etwas kürzer. Mir hat besonders der Einblick in die Welt des Weins gefallen, der mir dadurch eröffnet wurde und es hat mir die Augen geöffnet und war Anstoß für meinen Karrierewechsel ein oder zwei Jahre später.
Ein kulinarisches Erlebnis, dass jeder einmal gemacht haben sollte – abgesehen von einem Essen in Ihrem Restaurant?
Die Liste meiner Lieblingsrestaurants ist lang und es gibt einige Orte, an denen ich noch nicht war. Ein Abendessen im El Celler de Can Roca vor einigen Jahren hat mich tief beeindruckt. Aber auch ein anständiges argentinisches asado (Barbecue) kann umwerfend sein: Mit Fleischwaren in verschiedenen Variationen, Kutteln, Blutwurst, Bries, Nieren, verschieden Stücken von Rind-, Schweine- und Hähnchenfleisch – und das alles kombiniert mit unterschiedlichen Weinen. Besonders außergewöhnlich ist das Erlebnis natürlich auf einem Weingut am Fuße der Anden.